Ende der 90er Jahre fingen die ersten Rechtsschutzversicherer zaghaft an, telefonische Rechtsberatung anzubieten. Rund 20 Jahre später nehmen wir, die Deutsche Anwaltshotline AG, das Jubiläum zum Anlass, um auf die Erfolgsgeschichte des Rechtsberatungs-Klassikers zurückzublicken und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
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Johannes Goth – Vorstand Deutsche Anwaltshotline AG
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Christian Ulshöfer – Finanzvorstand Deutsche Anwaltshotline AG
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Wer hat´s erfunden?
Motiv für die Einführung war wohl die Erkenntnis der Branche, dass die massive Erhöhung der Schadenaufwendungen durch das KostRÄndG von 1994 nicht mehr nur durch stetige Beitragsanpassungen ausgeglichen werden konnte. Gesucht war ein Werkzeug, das die Schadenaufwendungen vermindern sollte. Etwa zu dieser Zeit verstärkten zunächst die größeren RSV auch den Aufbau eigener Kanzleinetze.
Uns sind mindestens drei RSV bekannt, die für sich in Anspruch nehmen, die telefonische Rechtsberatung „erfunden“ zu haben. Wer tatsächlich der allererste war, ist nicht mehr zu ermitteln – und auch nicht wirklich relevant. Da die verwöhnte Anwaltschaft jedoch nicht wirklich Lust hatte, sich zum Rechts-Callcenter degradieren zu lassen, mussten die Pioniere damals die ersten „Telefon-Kanzleien“ angeblich regelrecht zum Jagen tragen. Dabei waren die ersten Callpauschalen mit 50 – manche munkeln gar 80 Euro – aus heutiger Sicht spektakulär hoch.
Um die VN im Schadenfall aber in die neuen Netzwerkkanzleien zu steuern, mussten sich die Kunden erst einmal selbst bei ihrer RSV melden. Dies war bisher im Workflow der Branche nicht vorgesehen. Womit sollte man die Kunden überzeugen, nicht direkt zu einem beliebigen Anwalt vor Ort zu gehen? Hier bot sich die telefonische Rechtsberatung als ideales Vehikel an, das dem Kunden einen leicht zu erklärenden Nutzen brachte. Zudem wurde bei der Telefonberatung auf die Selbstbeteiligung verzichtet.
Zunächst also eingeführt, um den Kunden einen „Steuerungsanreiz“ zu geben, waren die RSV dann schnell überrascht, wie viele Fälle sich in der Praxis allein bereits durch die telefonische Rechtsberatung sogar final erledigen ließen.
An die Hörer, fertig, los!

Sieht so die Telefonberatung der Zukunft aus?
1998 kamen die ersten Endkunden-Anwaltshotlines über 0190-Nummern auf, gegen welche die Kammern gerichtlich vorgingen. Was die klagende Partei jedoch klar unterschätzte, war das große Medienecho, das dem Prozess zuteilwurde. Nachdem der BGH 2002 final zugunsten der Hotline-Betreiber entschied, suchten Nutzer auf Google gezielt nach der unkomplizierten Alternative zum Gang zum Anwalt und fanden auch immer mehr Anbieter.
Auch wir, die Deutsche Anwaltshotline, waren einer davon. Angefangen haben die drei Gründer der Deutschen Anwaltshotline alleine auf 12qm. Heute sind über 80 engagierte Mitarbeiter auf 1200qm im Einsatz und arbeiten mit rund 250 Kooperationsanwälten zusammen. Unser vorrangiges Unternehmensziel war und ist es, belastende Rechtsprobleme so einfach und günstig zu lösen, dass sich mehr und mehr Menschen schnell wieder sicher und unbeschwert fühlen. Damit haben wir keinen kurzlebigen Trend verfolgt, sondern einen anhaltenden Bedarf an unkomplizierter Rechtsberatung frühzeitig erkannt.
Stolz und Vorurteil
Auch die RSV erkannten das Potenzial des Modells „Telefonberatung“ und begannen dieses zu befeuern. Damit setzten sie sich nicht nur kritischen Tönen aus der Anwaltschaft aus. Dr. Hubert W. van Bühren, bis 2013 Präsident der Rechtsanwaltskammer Köln, sprach noch 2007 auf dem Anwaltstag von „im Keller angeketteten Junganwälten, die für Hungerlöhne Telefonberatung von zweifelhafter Qualität leisten.“
Auch viele interne Schadensachbearbeiter leisteten offenen wie auch stillen Widerstand. „Ich schicke doch meine Kunden nicht zu so einem Telefonanwalt“, dachte sich so mancher Schaden-Volljurist vom alten Schlag und verwies entgegen dem Willen der Geschäftsleitung die Kunden weiterhin an eine Kanzlei vor Ort.
Siegeszug war nicht aufzuhalten
Der Siegeszug der telefonischen Rechtsberatung im Rechtsschutz war bekanntermaßen trotz der anfänglichen Widerstände nicht aufzuhalten.
Nach groben Schätzungen dürfte der RSV-Gesamtmarkt heute ca. 1,2 Millionen Calls (= telefonische Rechtsberatungen) pro Jahr erzeugen, die von einer guten Handvoll etablierter Dienstleister bearbeitet werden.
Rechnet man mit der Faustregel, dass die Telefonberatung rund 50 Prozent von „gedeckten potenziellen Kanzleischäden“ final erledigt, ergibt sich bei einem (hier etwa niedriger angesetzten) Schadendurchschnitt von 500 Euro pro Schaden ein Einsparvolumen von satten 300 Millionen Euro pro Jahr. Wir gehen davon aus, dass der komplette Kostenminderungseffekt durch die Steuerung von nicht-fallabschließenden Beratungen in effektive und günstige Modelle wie die Shuttle-Mediation eher Richtung einer halben Milliarde Euro gehen dürfte.
Steigende Erwartungshaltung – steigender Aufwand
Allerdings haben alle Dienstleister in den letzten Jahren mit großen Herausforderungen zu kämpfen. Die Erwartungshaltung der RSV und auch der Anrufer an die Telefonberatung wird immer höher: Nicht nur kompetenter Rechtsrat ist heute gefragt, sondern geduldige, freundliche, emphatische Anwälte. Diese sollen nicht nur beraten, sondern dem VN umfangreiche Anleitung zur Selbsthilfe geben, um mehr Fälle final abschließen zu können. Dazu wird die Qualität verstärkt gemessen, etwa durch Erhebung des NPS (Net Promotor Score).
Die VN wiederrum wenden sich mit immer komplexeren Fällen an die Telefonberatung, weil sie in den letzten Jahrzehnten in zunächst meist einfachen Konstellationen gute Erfahrungen mit dem Lösungskanal Telefonberatung gemacht haben.
Die Anforderungen der RSV und der Anrufer sind durchaus nachvollziehbar und legitim – und mit entsprechendem Aufwand auch zu erfüllen. So haben sich etwa die durchschnittlichen Anwalts-Callzeiten von 2015 bis 2019 um rund 30 Prozent (!) erhöht. Andere Marktteilnehmer berichten von ähnlichen Entwicklungen. Die damit einhergehende Steigerung der Anwaltskosten wird verstärkt durch erhöhten internen Schulungs- und Controlling-Aufwand. Diesen Herausforderungen begegnen wir auf vielfältige Weise: So steht unser stetig wachsendes Anwaltsbetreuungsteam unseren Kooperationsanwälten bei Problemen rund um die Uhr zur Verfügung und ein Newsletter mit aktuellen Urteilen und Hinweisen, z.B. zur Germania-Pleite, bietet den Anwälten fachlichen Support.
Anwälte – plötzlich eine knappe Ressource
Hinzu kommt seit 2018 ein Phänomen, das jahrelang undenkbar war: Der Rechtsanwalts-Markt ist leer! Den Engpass merken nicht nur suchende Kanzleien oder einstellungswillige Rechtsschutzversicherer – auch die Telefonberatungs-Dienstleister.
„Es besteht die Gefahr, dass die Dienstleister die steigende Nachfrage der Rechtsschützer irgendwann nicht mehr werden bedienen können. Für die erhöhten Anforderungen und die stark gestiegenen Kostenaufwände müssen partnerschaftliche Lösungen gefunden werden. Wir nehmen hier erfreulicherweise ein offenes Ohr der Branche wahr“, berichtet Christian Ulshöfer, Finanzvorstand der Deutschen Anwaltshotline AG.
So wird die Rekrutierung von Telefonanwälten, die einen anstrengenden Job mit immer höherem Anforderungslevel für eine recht überschaubare Vergütung leisten sollen, zunehmend schwieriger. Wir selbst kalkulieren mittlerweile mit Akquisekosten von über 3.000 Euro für einen einzigen neuen Telefonanwalt.
Wachstumspotential: +75%
Die Telefonberatung stellt dabei eine recht kleine Kostenstelle für die RSV dar: Unterstellt man eine durchschnittliche Pauschale von ca. 18 Euro brutto pro Call, ergibt das bei 1,2 Millionen Calls einen Gesamtaufwand von 21,6 Millionen Euro pro Jahr. Bei Bruttoaufwendungen von insgesamt rund 2,8 Milliarden Euro pro Jahr für Versicherungsfälle macht die Telefonberatung also einen Anteil von gerade einmal 0,77 Prozent der Leistungsausgaben aus. Anders ausgedrückt: Für „klassische“ Anwalts- und Gerichtskosten gibt die Branche 99,2 Prozent der Schadenaufwendungen aus – und dieser Block wächst besorgniserregend noch immer weiter.
Nicht die Aufwendungen für Telefonberatung machen der Branche Sorgen, sondern die erheblichen Ausgabensteigerungen durch Claims-Fishing und Massenschäden.
Dabei wird das Potenzial des „Super-Kostensenkers“ Telefonberatung noch lange nicht voll ausgeschöpft: Das potenzielle maximale Callvolumen der RSV-Branche mit ca. 21 Millionen Rechtsschutz-Verträgen und einer erreichbaren jährlichen Callquote (= Relation Bestand zu Calls) von 10 Prozent sehen wir sogar bei jährlich ca. 2,1 Millionen Calls. Die RSV-Branche hat hier also noch ein Wachstumspotenzial von plus 75 Prozent basierend auf dem Stand 2018

Was bringt die Zukunft?
Seit ihrer Etablierung hat sich die Telefonberatung in ihrem Grundkonzept nur in wenigen Punkten weiterentwickelt. Zu nennen sind die Einführung der Direkteinwahl und der 24/7-Service. Die „erweiterte Erstberatung“ mit Dokumentenprüfung dagegen hat sich nie richtig durchgesetzt, da der Workflow für den Nutzer als zu aufwendig empfunden wird.
Vielleicht war bisher ja auch nicht viel Innovation nötig, weil das Produkt von Anfang an einfach gut war. Doch auch der zuverlässige Klassiker Telefonberatung kann nach unserer Ansicht durch die Digitalisierung auf einen neuen Level des Kundennutzens gehoben werden:
- Durch Schnittstellen zwischen RSV und Dienstleister könnten die Stammdaten des VN live an den Telefonanwalt übermittelt werden. Die aufwendige manuelle Übergabe des VN würde entfallen.
- Durch Telefonberatung via App braucht der VN keine Versicherungsnummer mehr, was den Zugang deutlich erleichtert.
- Durch Telefonberatung via App kann der VN sehr einfach vor oder während des Calls Dokumente fotografieren, die dem Anwalt sofort live am Bildschirm zur Verfügung stehen.
- Bei Telefonberatung via App kann der Kunde vorab sein Rechtsgebiet auswählen und wird direkt mit dem „Fachanwalt“ verbunden.
- Auch medienübergreifende Beratungen zwischen Chat und Telefon sind denkbar, je nach Anforderungen des Falls und Bedürfnis des Kunden.
- Durch Voice-to-Text-Systeme mit KI-Unterstützung könnte es vielleicht bald möglich sein, dem Anrufer mit überschaubarem Aufwand ein schriftliches Gesprächsprotokoll zu übersenden (wir forschen dahingehend).
- Die zukünftige Einbindung von Alexa & Co in die telefonisch Rechtsberatung: „Alexa, verbinde mich mit meiner GENIAL Rechtsschutzversicherung. Ich bin geblitzt worden.“
Auch 20 Jahre nach ihrer Einführung ist die Telefonberatung das erfolgreichste Instrument zur Senkung des Schadenaufwands bei hoher Kundenzufriedenheit. Und das Beste daran: Ihr Potenzial ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft!
Hier finden Sie den Artikel als PDF:
20 Jahre Telefonberatung: Wie geht die Erfolgsgeschichte weiter?