Die Zahl der Jurastudenten in Deutschland ist mit über 116.000 auf einem Höchststand und zum 1. Januar 2019 waren insgesamt 166.370 Anwälte zugelassen – mehr als im Vorjahr. Dennoch behauptete Prof. Dr. Matthias Kilian, Direktor des Soldan Instituts, auf dem Deutschen Anwaltstag in Leipzig, dass die Anwaltschaft schrumpft. Die aktuellen Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zeichnen ein ähnliches Bild.
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Johannes Goth – Vorstand Deutsche Anwaltshotline AG
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Der Trend der sinkenden Anwaltschaft in Deutschland ließ sich erstmals im Jahr 2017 beobachten. Zum ersten Mal gab es zu Beginn des Jahres weniger Anwälte als im Jahr davor. Prof. Dr. Matthias Kilian, Direktor des Soldan Instituts, sprach damals auf dem Deutschen Anwaltstag in Essen von einem „historischen Rückgang“. Auch seine Prognose fiel negativ aus: Der Schwund würde sich weiter verschärfen.
Als einen Grund dafür nannte er den wachsenden Anteil von sogenannten Wirtschaftsjuristen – Studenten an Hochschulen, die, anders als die klassischen Jurastudenten an Universitäten, keine zwei Staatsexamina machen und somit keine Qualifikation als Volljuristen erlangen können. Dies disqualifiziere sie für die Zulassung als Rechtsanwalt und für das Richteramt.
Zahl der Syndikusanwälte steigt
Darüber hinaus entschieden sich immer mehr Absolventen für den 2016 durch ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) neu geschaffenen Beruf des Syndikus-Rechtsanwalts. Aktuelle Zahlen dazu liefert die Bundesrechtsanwaltskammer: Von den 166.370 zugelassenen Rechtsanwälten im Jahr 2019 handelt es sich bei 14.012 um Rechts- und Syndikusanwälte – also Unternehmensjuristen, die auch als Anwälte zugelassen sind – und bei 2.864 um reine Syndikusanwälte. Im Jahr zuvor waren es insgesamt nur etwas mehr als 14.000. Seit 2017 ist die Anzahl der Syndikusanwälte schon um mehr als 50 Prozent gestiegen und zwar auf Kosten der reinen Rechtsanwälte.
Klammert man nun noch die „Alt-Syndizi“ aus, also diejenigen, die schon vor dem BSG-Urteil in Einzelkanzleien tätig waren, seien nur noch maximal 100.000 „Nur-Anwälte“ auf dem Markt.
Die Anwaltschaft wird zunehmend weiblicher
Dieser Trend wird sich fortsetzen, vermutet Kilian auf dem diesjährigen Anwaltstag in Leipzig, da die Anwaltschaft insgesamt immer weiblicher würde. Im Jahr 2017 wurden erstmals mehr Frauen als Männer zugelassen. Und Frauen seien mehr daran interessiert, in einem Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Dies ließe die Syndikusanwaltschaft überproportional wachsen. Der Frauenanteil bei den Einzelzulassungen liegt im Jahr 2019 laut BRAK bei 33,93 Prozent, während bereits 43,73 Prozent der doppelt zugelassenen und 55,06 Prozent der reinen Syndikusanwälte weiblich sind.
Mehr Staatsexamina, weniger Referendare
Auch wenn aktuell mehr Menschen in Deutschland Jura studieren als jemals zuvor, wird dies den Rückgang der Anwaltszahlen nicht bremsen, meint Kilian. Die Untersuchungen des Soldan Institutes zeigen, dass zwar die Anzahl derjenigen, die das erste Staatsexamen absolviert hatten, bis 2017 stetig angestiegen ist. Allerdings blieb die Zahl der Referendare und Assessoren stabil. Die juristische Ausbildung wird also offensichtlich von einem größeren Anteil in einer späteren Phase abgebrochen.
Gefahr durch Legal Tech macht Beruf unattraktiv
Dies führt dazu, dass aktuell mehr Anwälte den Beruf verlassen, als dass neue eintreten.
Liegt das an der abnehmenden Attraktivität des Berufs?
Fakt ist, die Digitalisierung macht auch nicht vor dem Anwaltsberuf halt und sorgt dafür, dass das Wissensmonopol der Anwälte immer weiter schrumpft. Zwar geht ein Drittel der vom Soldan Institut Befragten davon aus, dass der Einsatz von Software in juristischen Arbeitsprozessen sie bei Routinearbeiten entlasten könnte. Jedoch denken 46 Prozent dass die Digitalisierung und die steigende Anzahl an Legal Techs keine Chance, sondern ein großes Risiko für das Anwaltsgeschäft darstellen. Viele Plattformen können bereits mithilfe von Algorithmen bei der Geltendmachung von Ansprüchen helfen – und das viel günstiger als der Anwalt mit herkömmlichem Handwerkszeug. Vor allem in Massenrechtsgebieten wie dem Verkehrsrecht gibt es immer mehr Plattformen, wie geblitzt.de oder flightright für Fluggastrechte, die den Anwalt zum Teil ersetzen können.
Prozessflaute bei den Amtsgerichten
Hinzu kommt, dass das Prozessieren für die Betroffenen immer unattraktiver wird. Die Justizstatistik zeigt, dass sich der seit 20 Jahren alljährliche Rückgang um 2 Prozent seit 2016 drastisch verschärft hat. 7 Prozent weniger waren es im Jahr 2016, weitere 6 Prozent im Jahr darauf.
Die größten Verluste lassen sich bei den Amtsgerichten beobachten. Innerhalb von zehn Jahren haben diese mehr als ein Viertel ihrer Fälle einbüßen müssen.
Aber nicht nur bei den Zivilverfahren geht die Zahl zurück, gleiches lässt sich bei Familien-, Straf- und Bußgeldsachen beobachten. Zu vieles kann günstiger außergerichtlich geklärt werden – vor allem durch Mediation.
Ausblick
Die unweigerliche Folge all dieser Beobachtungen: sinkende Anwaltsdichte und schließende Gerichtsstandorte. Außergerichtliche Lösungen werden weiterhin zunehmen, denn sie sind schneller und günstiger und damit sowohl für die Betroffenen als auch für Rechtsschutzversicherer attraktiver. Die Anwaltschaft wird weiter schrumpfen, in einigen Jahren könnte ein regelrechter Mangel an Anwälten herrschen. Ob dieser Trend tatsächlich negativ ist, bleibt abzuwarten. Digitale Lösungen, die Anwälte zum Teil ersetzen können, gibt es bereits. Ob diese Lösungen aber in gleichem Maße zunehmen, wie die Anwaltschaft schrumpft und ob sie sich entsprechend weiterentwickeln können, um die schrumpfende Anwaltschaft abfangen zu können, wird sich zeigen.
Und für Rechtsschutz? Die Rekrutierung von Volljuristen als Schadensachbearbeiter wird schwieriger werden. Ob die Schadenaufwendungen sinken werden, wenn sich zukünftig weniger Anwälte einen gleich großen Mandats-Kuchen teilen, ist zweifelhaft. Es ist eher davon auszugehen, dass das Claimsfishing solche Effekte überkompensieren wird. Zudem das Claimsfishing ja nicht nur für die RSV bedrohlich ist, sondern auch Mandate aus kleineren Kanzleien abzieht, was deren dauerhafte Existenz gefährdet und zu Konzentrationseffekten auf mächtige Claimsfishing-Kopmplexe führen wird.
Technische Lösungen wie digitale Steuerung via Homepage oder App, sowie KI-unterstützte Rechtsservices und Schadenstrecken können die Prozesse der RSV verschlanken und die Produktivität der schrumpfenden Juristenzahl erhöhen.
Quellen und weiterführende Links:
- Justizstatistik und Güterichterstatistik 2017: Prozessschwund im Galopp
- Juristen: Erstmals seit Jahrzehnten weniger Anwälte
- BRAK-Zahlen 2018: Weniger Rechtsanwälte, mehr Syndizi
- BRAK-Zahlen Anwaltschaft: Mehr Frauen und mehr Syndizi
- Die Anwaltschaft schrumpft und wird zunehmend weiblicher
- Der Fachhochschul-Jurist wird immer beliebter
- Manchmal kommt es anders: Der Anwaltsmarkt im Wandel
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Gehen uns die Anwälte aus? Ein kritischer Blick auf den Anwaltsmarkt