Der fortschreitende Anwaltsmangel stellt eine große Herausforderung für die Branche dar, weshalb es gilt, möglichst frühzeitig auf digitale Prozesse umzustellen und Produkte zu implementieren, die überwiegend ohne den Einsatz von Anwaltsressourcen auskommen. Die DAHAG arbeitet bereits seit einiger Zeit an zahlreichen digitalen Produkten und Problemlösungsprozessen, welche künftig sowohl Anwaltskapazitäten einsparen als auch Personalressourcen schonen sollen – sowohl seitens der DAHAG als auch seitens der RSV. Hier ein kleiner Überblick:


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Katja Härlein – Leitung Web & Marketing
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Digitaler DAHAG-Sprachassistent JUSTUS

Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Anwaltskapazitäten entfällt auf den bürokratischen Part des Telefonats, darunter die Aufnahme der Versicherungsnummer. Um hier Abhilfe zu schaffen, haben wir in diesem Jahr den digitalen Sprachassistenten JUSTUS in Betrieb genommen, zunächst bei zwei Versicherungen. Nach einer Testphase wurde JUSTUS in den Dauerbetrieb geschaltet, in welchem er über 90 % der Versicherungsnummern zuverlässig erkennt. Größte Priorität hat für 2024 der Rollout von JUSTUS möglichst über alle Versicherungen, um weitere Anwaltskapazitäten freizusetzen. Perspektivisch soll JUSTUS außerdem weitere Informationen wie Handynummern sowie die Zustimmung zum Follow-Up-Service aufnehmen können. Dies führt nicht nur zur weiteren Entlastung, sondern auch zur Steigerung der Dienstleistungsqualität. Zudem wird 2024 eine „JUSTUS-Pro“ Version an den Start gehen. Diese Version ist speziell auf Übergabe durch Schadensachbearbeiter zugeschnitten und dürfte den telefonischen Übergabeprozess für Sachbearbeiter und damit auch die Wartezeit des VN um 60-80% verkürzen.

Für Ende 2024 ist geplant, dass JUSTUS mithilfe von KI außerdem das „Rechtsproblem“ des VN abfragt und aus der mündlichen Freitext-Antwort sofort das passende Rechtsgebiet erkennt, was wiederum die zielgenaue Steuerung zu Anwälten mit entsprechender Fachkompetenz ermöglicht. Auch dies zahlt auf die Dienstleistungsqualität ein.

Digitaler Steuerungsbaum

Der digitale DAHAG-Steuerungsbaum (im Look&Feel der jeweiligen RSV) unterstützt die Selbststeuerung von Versicherungsnehmern. Der Nutzer klickt auf seinem Handy oder PC durch drei bis fünf Fragen, um dann bei dem für sein Rechtsproblem idealen Steuerungsziel zu landen. Denn bei einem Bußgeldbescheid mit Fahrverbot muss eine (Zentral)Kanzlei ran, bei einem Knöllchen über 20 Euro reicht eine Telefonberatung.

Vereinfacht gesagt tut der digitale Steuerungsbaum genau das, was sonst ein RSV-Schadensachbearbeiter oder ein Mitarbeiter im DAHAG Steuerungsteam im Dialog mit dem VN tun würde.

Der DAHAG Steuerungsbaum kann als Ziel des „Follow-up-Services“ eingesetzt werden. Damit kann – ohne menschlichen Aufwand – das Rechtsproblem des VN zu jedem späteren Zeitpunkt in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Da sich die Follow-up-Service-SMS verschlüsselt die Versicherungsnummer des VN „merkt“, muss der VN seine Nummer im weiteren Selbststeuerungsprozess nicht noch einmal eingeben. Alternativ kann er auch einfach über einen Button auf der Service-Homepage der RSV („Ich habe ein Rechtsproblem“) platziert werden.

Die erste Version des DAHAG Steuerungsbaums ist seit Mai 2023 in Form der neuen DEVK Rechtsschutz App im Einsatz. Parallel entwickeln wir einen „allgemeinen Steuerungsbaum“, der für alle RSV einsetzbar sein soll. Die Steuerungsziele sind dabei pro RSV individuell anpassbar. Der allgemeine Steuerungsbaum ist umfangreich und weist über 300 Steuerungsziele (=Baumenden oder „Blätter“) aus. Diese Komplexität bleibt dem Nutzer jedoch verborgen: Er wird mit meist nur fünf bis sechs Klicks innerhalb von 20 Sekunden zu seinem passenden Steuerungsziel geführt.

Es ist geplant, einen live verwendbaren Prototypen des „allgemeinen“ Steuerungsbaums in Q1 2024 bei einer Pilot-RSV einzusetzen.

Digitale Steuerungskette

Sowohl der Sprachassistent JUSTUS als auch Follow-up-Service und Steuerungsbaum sind Teilaspekte der neuen digitalen Steuerungskette der DAHAG. Ziele der digitalen Steuerung sind:

  • VN soll (auch mit Zeitversatz) immer in der Steuerungskette gehalten werden; Steuerung in günstige Lösungsmodule (z. B. ZMB, Zentralkanzlei) = Vermeidung teurer Fremdanwälte
  • Zeitgemäßer Service für VN: Lösung seiner Probleme „einfach per Klick“, 24/7
  • Smartphone wird zum zentralen Medium der Problemlösung – ohne Notwendigkeit einer App
  • Bei Einstieg über RSV-Website: RSV positioniert sich als moderner Problemlöser
  • Entlastung von Anwälten, DAHAG-Mitarbeitern und RSV-Mitarbeitern durch automatische Datenaufnahme, automatische Steuerung und Selbst-Steuerung

DAHAG Rechtsschutz-Agentur

Mit der DAHAG Agentur will die DAHAG Rechtsschutz dabei unterstützen, durch die Früherkennung von Massenschäden, die Erstanalyse sowie die Risikobewertung kosteneffiziente Deckungsstrategien zu entwickeln. Zentraler Baustein der DAHAG Agentur ist eine Datenbank für Deckungsklagen, in welcher eine Vielzahl von anonymisierten Deckungsurteilen von teilnehmenden RSV kategorisiert abgelegt sind. Während Rechtsschutz selbst aufgrund von kartellrechtlichen Beschränkungen relativ wenige Möglichkeiten haben, gemeinsame Schadenregulierungsstrategien zu entwickeln, ist der Aufbau einer derartigen Online-Datenbank durch einen externen Dienstleister kartellrechtlich zulässig. Dies wurde auch durch ein von der DAHAG beauftragtes Gutachten der Kanzlei Römermann bestätigt.

Die Datenbank ist eingerichtet, mit über 100 Urteilen zu einem speziellen Massenschaden befüllt und eine Pilotphase wurde bereits mit einigen RSV absolviert.

Flankiert wird die Datenbank von einem regelmäßigen Newsletter, welcher über aktuelle und sich möglicherweise anbahnende Massenschäden informiert und einzelne relevante Urteile bewertet. Der Newsletter basiert auf einer regelmäßigen Monitoring-Leistung: Hierbei analysiert ein Expertenteam kontinuierlich die Entwicklung der Calls zu bestimmten Themen, die aktuelle Rechtsprechung sowie die Aktivitäten der einschlägigen Claimsfishing-Kanzleien. Ebenso wird es einen „Alarm-Service“ für RSVs bei neu auftretenden potentiellen Kumul-Themen geben.

  • Vermeidung unnötiger Deckungsklagen
  • Zielgerichteter Einsatz von erfolgreichen Ablehnungen und Deckungsklagen
  • Bessere Schadenregulierungsstrategien
  • Schonung von internen Personalressourcen
  • Permanente Live-Übersicht der Entwicklungen in Massenschäden
  • Waffengleichheit mit Claimsfishern
  • Einsparungen im Millionenbereich pro Jahr pro RSV

Digitale Beratungsprotokolle

Die telefonische Rechtsberatung ist ein fantastisches Produkt. Rechtsfragen aller Art können live im Dialog beraten und oft auch gelöst werden. Allerdings ist das gesprochene Wort flüchtig. Oft weiß der VN nach der Beratung nicht mehr genau, was der Anwalt gesagt oder gemeint hat. Das führt zu Unsicherheit und manchmal auch zu nicht optimalen Lösungen des Rechtsproblems – etwa durch den Gang zum teuren Fremdanwalt.

Seit Jahren schon stellt die DAHAG Überlegungen an, ob der Anwalt dem VN nicht eine schriftliche Zusammenfassung nach dem Telefonat übermitteln könnte – ganz einfach per SMS. Alle Überlegungen scheiterten aber am enormen Zeitaufwand von rund 30 Minuten, die eine Zusammenfassung kosten würde. Auch Überlegungen zu Protokollsystemen auf Basis von Textbausteinen machten wenig Hoffnungen auf ein gutes Endergebnis – bei einem enormen Entwicklungsaufwand.

Durch interne Versuche der DAHAG mit GPT4 im März 2023 konnten wir beweisen, dass diese KI-Version in der Lage ist, nahezu fehlerfreie, ausführliche und exzellent formulierte Beratungsprotokolle aus transkribierten Audioaufzeichnungen von echten Telefonberatungen zu erstellen.

Da hierfür mehrere Prozessschritte notwendig sind (automatische Umwandlung von Sprache in Text, automatische Anonymisierung des Textes, Zusammenfassung des Textes durch GPT4), dauert es rund fünf Minuten, bis dem Anwalt der Entwurf des Protokolls vorliegt. Diesen muss er dann auf eventuelle Fehler oder Unvollständigkeiten prüfen, den Entwurf bedarfsweise anpassen und verbessern und den Versand auslösen, was weitere knappe Zeitressourcen in Anspruch nimmt. Aber trotz allem Aufwand: in diesem System würde der VN nur kurze Zeit nach seinem Telefonat ein komplettes Anwaltsprotokoll mit dem Briefkopf der Kanzlei in seinem Postfach oder auf seinem Handy vorfinden.

Mehr zum Thema Beratungsprotokoll, zu den Ergebnissen des DAHAG-Testfelds und zu den Plänen für 2024 können Sie im Detailartikel „ChatGPT, schreibe mir bitte ein Beratungsprotokoll“ – Ein Testbericht nachlesen.

Deckungsabfindung

Bei Auslandsschäden ist es schon lange übliche Praxis der meisten RSV, den bestehenden Deckungsanspruch mit einem pauschalen Geldbetrag „abzufinden“ und damit die Schadenakte zu schließen. Ob Deckungsabfindung auch bei nationalen Schäden funktioniert, war umstritten, insbesondere bei Owi-Schäden, da hier oft eine unzulässige Strafvereitelung unterstellt wurde.  Diese Bedenken konnten bereits 2022 anhand eines von der DAHAG in Auftrag gegebenen Gutachtens von Prof. Armbrüster aus der Welt geschafft werden. Dieses erklärte die Deckungsabfindung in allen Belangen – bei der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen – für zulässig.

Im Rahmen eines ersten Pilotfelds mit einer einzelnen RSV konnten bis Ende Mai 2023 rund 170 Vorgänge in verschiedenen Konfigurationen in der Praxis von DAHAG-Mitarbeitern durchgeführt werden. Aus den Erkenntnissen des Testfelds wurden Maßnahmen abgeleitet, die ein standardisierteres und damit besser skalierbares Vorgehen bei derartigen Fällen ermöglichen. Seit Oktober läuft eine zweite Testphase mit einer zusätzlichen RSV.

Ziel für 2024 ist es, einen IT-gestützten (ggf. auch KI-gestützten) Workflow zu entwickeln, der eine effektive Massenbearbeitung zulässt. Darüber hinaus soll das Spektrum der Deckungsabfindung erweitert werden, unter anderem auf Owi-Selbstmelder sowie auf andere Fallarten (z. B. Facebook Datenleck).

Das dazu gehörige Leistungs-Angebot an unsere Partner-RSV folgt in Q1/Q2 2024.

Kategorien: DAHAG Intern