Claims-Fishing erfordert eine neue Taktik

Veränderte äußere Umstände – egal ob im Sport, auf dem Schlachtfeld oder im Wirtschaftsleben – erfordern fast immer eine neue Taktik.

In den letzten Jahren sieht sich die Rechtsschutzbranche einem stetig zunehmenden Kostendruck durch verschiedene Spielarten des Claims-Fishing ausgesetzt: Spezialisierte Online-Kanzleien greifen Versicherungsnehmer über Google ab und rechnen die Mandate gebührenoptimiert bei den RSV ab. Dabei ist es nicht relevant, ob es sich um Massenschäden wie Kreditwiderruf oder wiederkehrende „Standard-Fälle“ wie Bußgeldsachen handelt.


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Johannes Goth  – Vorstand Deutsche Anwaltshotline AG
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Ich gehe davon aus, dass wir hier erst den Beginn eines unseligen Trends sehen, der nach Bußgeldverfahren und Dieselgate bald alle Arten von Rechtsschutzfällen erfassen wird, die für Anwälte von Interesse sind. Zudem rechne ich damit, dass bekannte und neue Akteure demnächst „Kundenbindungsmaßnahmen“ erfinden werden, um die Rechtsschutz-Kuh ohne neuen Akquiseaufwand immer weiter melken zu können.

Das Geschäftsmodell der RSV und deren Tarife basieren auf stochastisch ermittelten Schadenhäufigkeiten und Schadenhöhen. Beide elementaren Basis-Parameter werden durch das Claims-Fishing nachhaltig beschädigt.

Die Waffen der Angreifer: Kundenvorteile durch Digitalisierung

Warum eigentlich funktioniert das Claims-Fishing so gut? Weil es dem Kunden in seiner konkreten Bedarfssituation genau das bietet, was er will und was er braucht. Stellen Sie sich vor, Ihnen flattert als rechtlicher Laie ein Bußgeldbescheid ins Haus – was wollen Sie und was brauchen Sie in dieser akuten Situation?

1. Informationen darüber, welche Rechtsfolgen sich für Sie ergeben
2. Hilfe bei der Lösung Ihres Problems
3. Und das alles sofort, leicht zugänglich, und möglichst kostenlos

Und warum können geblitzt.de & Co genau das anbieten?

Weil es ein digitales Geschäftsmodell ist: Jede Online-Kanzlei kann über Google Tag und Nacht Versicherungsnehmer aus ganz Deutschland zielgruppenoptimiert abfangen. Dabei ist der „Mandatierungsvorgang in drei Klicks“ so elegant und so einfach, dass dem Kunden manchmal gar nicht bewusst ist, dass er soeben einen Anwalt beauftragt hat. Zudem können die Mandantensammler durch entsprechende Software eine Vielzahl gleichartiger Rechtsverfahren sehr kosteneffizient bearbeiten, was ihnen wiederum hohe Gebote für die Werbung auf Google ermöglicht.

Die Spielregeln ändern!

Wenn der Angriff auf das Rechtsschutzmodell digital ist, muss auch die Abwehrstrategie aus einem neuen, digitalen Rechtsschutzmodell bestehen.

Die tatsächliche Ausprägung des Rechtsschutz-Geschäftsmodells liegt seit jeher in seinen Spielregeln, also seinen Tarifen, seinen ARB.

Die heutigen, aus dem „analogen Zeitalter“ stammenden ARB schützen die Versicherer (und auch die Versichertengemeinschaft) aber nicht mehr vor den neuen digitalen Ausbeutungstaktiken. Aber das muss nicht so bleiben. Denn die Spielregeln können ja – im gesetzlichen Rahmen – von jedem Versicherer angepasst werden. Via Google nutzen die Anwälte die herkömmlichen Rechtsschutz-Spielregeln aus; jedoch haben nicht die Anwälte die Macht, die Spielregeln zu verändern, sondern alleine die Versicherer!

Mögliche Lösung: Der App-Meldetarif

Wie könnte also ein digitales Rechtsschutzmodell aussehen? Das Modell müsste verhindern, dass der Kunde bei Google von den Claims-Fishern eingefangen wird – sollte es doch dazu kommen, muss der Versicherungsfall immer noch für die RSV kalkulierbar bleiben. Zudem müssten die RSV ihren Kunden eigene digitale Anlaufstellen bei Rechtsproblemen anbieten, die deren Probleme möglichst sogar noch einfacher lösen, als die Online-Kanzleien es versprechen.


Im letzten Jahr haben wir in diesem Zusammenhang oft über die Idee eines „App-Selbstmeldetarifs“ diskutiert: Ein Rechtsschutztarif, bei dem der Kunde

1. eine Rechtsschutz-App installieren und registrieren muss
2. die App über die Vertragslaufzeit installiert lassen muss
3. und einen Schadenfall ausschließlich über die App höchstpersönlich melden muss.

Gutachten klärt auf: Ist der App-Meldetarif zulässig?

Das vollständige Gutachten und die von Prof. Dr. Christian Armbrüster entworfenen Bausteine für die ARB finden Sie hier.

Aber wäre so ein App-Meldetarif, der den Nutzer von Google fernhält, rechtlich zulässig? Wir haben Prof. Dr. Christian Armbrüster mit einem umfassenden Rechtsgutachten zu dieser Frage beauftragt. Das Ergebnis: Nicht alles, was man sich wünscht, ist durchsetzbar – aber sehr viel ist möglich:

  • Der Beginn des Versicherungsschutzes kann von der Installation und Registrierung einer App abhängig gemacht werden.
  • Die RSV hat das Recht, regelmäßig zu überprüfen, ob die App noch auf dem Handy ist.
  • Die RSV hat ein Kündigungsrecht, falls der VN die App während der Laufzeit löscht.
  • Eine Verpflichtung des VN, einen Schaden persönlich zu melden, ist leider nicht zulässig.
  • Aber: Falls der VN einen Schaden nicht über die App meldet, ist die RSV zwar nicht von der Leistungspflicht befreit, sie kann den Meldewegverstoß jedoch sanktionieren, etwa durch Anrechnung eines (erhöhten) Selbstbehalts oder eines Rabatt-Wegfalls.
  • Gelingt es dem Versicherer gar, einen stochastischen Nachweis zu erbringen, dass die Einhaltung des Meldewegs über die App im App-Tarif den durchschnittlichen Schadenumfang senkt, könnte er bei Verstoß gegen die App-Meldepflicht ganz von der Leistung befreit sein.
  • Es ist zulässig, die Eintrittspflicht unter einen Chat-Rechtsberatungs-Vorbehalt zu stellen: Hat sich der VN nicht vor der Meldung des Schadenfalls via App von einem Anwalt per Chat (oder Telefon) beraten lassen, ist die RSV nicht eintrittspflichtig.

Das Armbrüster-Gutachten zeigt: Die Rechtsschutzbranche hat ein digitales Ass im Ärmel. Und davon profitieren sogar ihre Kunden. Denn ein digitales Rechtsschutzmodell dürfte erhebliche Kostenvorteile und damit günstigere Beiträge ermöglichen. Und der Kunde kann endlich mit einem Wisch sein Rechtsproblem „weg-appen“.

Natürlich entfaltet ein App-Meldetarif seine Wirkung nicht von heute auf morgen. Aber vor 20 Jahren hat die Branche auch angefangen, SB-Tarife einzuführen. Heute sind kaum noch Bestandsverträge ohne SB vorhanden.

Erste Schritte könnten sein, eine Rechtsschutz-App zunächst einmal ohne App-Tarif einfach als Zusatz-Service für Bestandskunden anzubieten. Dieser Schritt ist mit geringem Kostenaufwand und wenig Zeitvorlauf möglich. So kann man sich vorab mit Steuerungs-Effekten und Kundenfeedback vertraut machen: Wie finden die Kunden die App? Wie oft wird die App genutzt? Von welchen Services macht der Kunde Gebrauch? In welchem Umfang senkt die App Schadenaufwendungen?

Auf Basis dieser Erfahrungen kann dann eine neue Tarif-Generation entwickelt und kalkuliert werden.

Fazit:
Ein App-Meldetarif ist rechtlich in weiten Teilen zulässig und bietet große Chancen. In der Praxis werden die meisten Kunden durch die einfache und schnelle Lösung ihrer Rechtsprobleme über eine App diese ohnehin bereitwillig nutzen. Die Claims-Fisher würden weitgehend ausgesperrt oder die wenigen gefischten Schäden würden durch entsprechende finanzielle Sanktionen zumindest kalkulierbar gemacht werden. Zudem könnten durch die hohen Steuerungsquoten in einem App-Meldetarif die Schadenaufwendungen insgesamt massiv gesenkt werden.


Hier finden Sie den Artikel als PDF:
App-Meldetarif zulässig? Rechtsgutachten von Prof. Dr. Armbrüster

Kategorien: Rechtsschutz