„Die Robo-Anwälte kommen“ verkündete bereits vor drei Jahren das Handelsblatt: Damals stellte die US-Kanzlei Baker & Hostetler den Roboter-Anwalt Ross ein. Dieser sortiert Akten, erfasst Fälle, kümmert sich um zugehörige Unterlagen und gibt eine Einschätzung über die Relevanz des jeweiligen Falls ab. Und das Beste daran: Ross arbeitet 24 Stunden am Tag.

Nicht zuletzt aufgrund der drohenden Anwaltsknappheit setzen auch wir von der Deutschen Anwaltshotline uns zunehmend mit künstlicher Intelligenz (KI) im Rechtsmarkt und Dienstleistungssektor auseinander. Welche Anwendungsfälle sind denkbar? Wie trägt KI zur Kostenersparnis bei? Und wie gut ist der „Anwalt in der Black Box“ wirklich?

Kundensteuerung durch Chatbot

„Ein intelligenter Chatbot kann Anwälte und Kunden gleichermaßen glücklicher machen“, erklärt Projektleiter Samuel Seiz. Der von ihm konzipierte und gebaute Chatbot überzeugt durch seine Einfachheit, durch die zahlreiche unterschiedliche Anwendungsfälle denkbar sind.

„Grundsätzlich haben wir den Chatbot so entwickelt, dass selbst jemand, der nicht technisch versiert ist, ihn einfach mit Inhalten befüllen kann.“ Anhand einer Baumstruktur mit unterschiedlichen Auswahlmöglichkeiten im Hintergrund kann der Kunde sich online zur richtigen Seite durchklicken. Beispielsweise kann so die Suche nach bestimmten Formularen oder Kontaktinformationen vereinfacht werden.

Machine Learning: Gehirntraining für den Bot

Richtig intelligent wird der Chatbot, wenn er sich nicht an der vorgegebenen Baumstruktur entlanghangeln muss, sondern eigenständig antworten kann. Wie das geht? „Mit Hilfe von Machine Learning“, berichtet Software-Entwickler Alex Felker, der bei der DAHAG seine Bachelorarbeit zum Thema „Künstliche Intelligenz“ schreibt.

Für das Projekt hat Alex einen Algorithmus – eine Art virtuelle Black Box – mit zahlreichen anonymisierten Rechtsfällen gefüttert. Ziel war es dabei, dass die künstliche Intelligenz die Fälle von selbst in die richtigen Rechtsgebiete einsortiert. Um dies zu gewährleisten, wird ein Teil der Rechtsfälle zum Training verwendet und ein Teil zum Test: So können mehrere verschiedene State-of-the-Art-Techniken miteinander vergleichen werden, um herauszufinden, welche sich schließlich für die Klassifizierung von Texten im juristischen Kontext am besten eignet.

Nach langer Lernphase erzielt der Algorithmus mittlerweile eine Trefferquote von 87 Prozent bei 26 zur Wahl stehenden Rechtsgebieten und einem Pool aus ca. 1.800 Rechtsfällen. Mit Hilfe der Technologie könnten Anfragen in der Chat-Rechtsberatung beispielsweise direkt an einen passenden Anwalt vermittelt werden, ohne dass der Kunde selbst das Rechtsgebiet festlegen muss. So reduzieren sich Weiterleitungen und damit auch Arbeitszeit für den Anwalt. Gleichzeitig steigt dadurch die Kundenzufriedenheit.

Auch Serviceanfragen könnten durch die künstliche Intelligenz automatisch herausgefiltert und direkt an einen Sachbearbeiter weitergeleitet werden.

RoboteranwaltDenkt man jetzt noch einmal an den amerikanischen Robo-Anwalt Ross, stellt sich die Frage, ob der Chatbot nur zuordnen oder vielleicht sogar selbst antworten und den Anwalt so ersetzen kann. Dr. Jannis Konstas, Justiziar der Deutschen Anwaltshotline, verneint dies: „Für die eigentliche Rechtsberatung ist immer auch Kreativität gefragt und diese kann die KI nicht leisten. Bei standardisierten Fällen kann künstliche Intelligenz den Anwalt aber durchaus ersetzen oder zumindest unterstützen.“ Dass dies tatsächlich funktioniert, zeigt eine aktuelle Studie aus den USA : Bei Vertrags-Checks schlug künstliche Intelligenz 20 Anwälte um Längen. Die KI brachte es auf eine Genauigkeit von 94 Prozent, die Anwälte nur auf 85 Prozent. Noch erstaunlicher ist der Zeitunterschied: Die Anwälte benötigten für die Vertragsprüfung im Schnitt 92 Minuten – der Bot nur 26 Sekunden.

Sprachassistenten als smarte Anrufbeantworter

KI beschäftigt sich aber nicht nur mit dem geschriebenen, sondern auch mit dem gesprochenen Wort. Mitte des Jahres trafen sich die DAHAG-Produktmanager Dennis Schmolk und Nic Augustin mit mehreren KI-Startups, u.a. unserem Nürnberger Nachbarn vitas.ai. Vitas bietet bislang vor allem die Abwicklung telefonischer Reservierungen für Restaurants an: Der Anrufer wird nach allen Eckdaten seines Reservierungswunsches gefragt, der direkt im Buchungssystem des Restaurants landet.

Künstliche Intelligenz hilft hierbei sowohl, die Sprache des Anrufers zu analysieren, Antworten des „Anrufbeantworters“ zu synthetisieren und die Schlüsselworte der Reservierung zu erfassen. Bei der Demo vor Ort funktionierte das Ganze schon erstaunlich gut – lediglich bei einem der Testanrufe gerieten Personenzahl und Uhrzeit durcheinander.

Der vorgestellte Service eignet sich für mehrere Anwendungsbereiche. Dadurch ließe sich beispielsweise ein einfacher, 24 Stunden verfügbarer und kostengünstiger Sekretariatsservice realisieren – auch hier geht es ja vor allem um die Erfassung eines Terminwunschs und einiger Zusatzinformationen.

Und das Beste: Vitas arbeitet ausschließlich mit in Deutschland gehosteten Diensten und hat bereits einen hohen Datenschutzstandard, sodass die Anforderungen der DAHAG leicht umgesetzt werden könnten. Vor einem Testlauf müssen diese Rahmenbedingungen selbstverständlich noch einmal en detail überprüft werden.

Übrigens: Im Bankensektor konnten erstaunliche statistische Verbesserungen durch den Einsatz KI-gestützter Telefonsysteme erzielt werden, etwa die Reduktion von Weiterleitungsquoten um über 95% und die Häufigkeit von erneuten Anrufen zu denselben Themen um über 40%. „Auch wir sehen hier Potenziale, unsere Dienste zu optimieren“, erklärt Nic Augustin.

Intelligenter Algorithmus trifft Call-Prognosen

Auch der DAHAG-Software-Entwickler Chris Nöther beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz – und das aus Leidenschaft: „Schon als Kind habe ich bei Raumschiff Enterprise gestaunt, wenn Captain Kirk sich einfach vor die Tür stellt, diese erkennt, dass er es ist und sich dann automatisch öffnet.“

Chris hat einen Algorithmus entwickelt, mit dessen Hilfe er die Call-Zahlen in der telefonischen Rechtsberatung prognostizieren kann. Dafür muss er diesen mit zahlreichen historischen Verlaufsdaten und anderen Parametern wie Feiertagen oder Ferienzeiten füllen.
Die Call-Prognose erlaubt uns eine bessere Planung der Anwaltskapazitäten und deren optimalen Einsatz. Dank dieser Daten kann weiterhin eine Annahmequote von 99 Prozent gewährleistet werden.

„Künstliche Intelligenz ist ein spannendes Feld und der Versicherungsmarkt darf den Anschluss nicht verpassen“, betont Johannes Goth, Vorstand der Deutschen Anwaltshotline. „Schon jetzt verfügt jeder achte deutsche Haushalt über einen Sprachassistenten – Tendenz steigend. Die Akzeptanz für KI nimmt deutlich zu und wir müssen herausfinden, wie diese Technologie die heutige Rechtsberatung weiter verbessern kann.“


Informationen über die Mitwirkenden

Samuel Seiz – DAHAG Software-Entwickler
 

Alex Felker – DAHAG Software-Entwickler
 

Chris Nöther – DAHAG Software-Entwickler
 

Dennis Schmolk – DAHAG-Produktmanager
 

Nic Augustin – DAHAG-Produktmanager
 


Hier finden Sie den Artikel als PDF:
Der Anwalt in der Black Box: Die DAHAG forscht zu künstlicher Intelligenz
 


Kategorien: DAHAG Intern