Auch wenn noch nicht alle Zahlen final vorliegen – 2019 sollte für die Rechtsschutzbranche ein gutes Jahr gewesen sein. Die Konjunktur läuft nach wie vor einigermaßen stabil, die Schadenhäufigkeit blieb im Rahmen. Es herrscht fast Vollbeschäftigung, damit verharren die teuren Arbeitsrecht-Schäden auf niedrigem Niveau. Die vergangene BAK spült jetzt ordentlich Geld in die Kassen. Bei Dieselgate enden erfreulich viele Fälle in Vergleichen zulasten von VW. Beachtliche Rückstellungen können nach und nach aufgelöst werden. Die Bestände wachsen – ein bisschen zumindest.


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Johannes Goth – Vorstand Deutsche Anwaltshotline AG
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Also alles wolkenlos? Mitnichten! Die Claimsfisher vermehren sich rasant, werden besser und schneller. Damit wird die Kalkulation bezüglich Schadenhäufigkeit und Schadenhöhe der RSV mittelfristig nicht mehr aufgehen – selbst wenn vielleicht das ein oder andere Agreement mit einem „Fischer“ geschlossen werden kann.

Auch der BGH hat die Spielräume der Branche weiter eingeschränkt: Im September wurde den RSV die Schadenminderungsklausel aus den ARB geschossen. Diese wurde zwar nicht von allen Häusern intensiv angewendet, aber der Werkzeugkasten wird leerer.

Die Musterfeststellungsklage scheint noch nicht zu vielen neuen Massenverfahren zu führen. Es gibt beim Dieselgate-MFV allerdings Verdachtsmomente, dass die klageführende Kanzlei die im Klageregister eingetragenen, rechtsschutzversicherten Teilnehmer auf die Option paralleler Einzelklagen anspricht.

Und auch für 2019 gilt: kein Jahr mehr ohne Massenschaden. Ende September kam die Thomas-Cook-Pleite. Allerdings hat die Bundesregierung beschlossen, für die nicht von der Versicherungssumme abgedeckten Schäden einzuspringen. Damit dürfte das Thema bei den RSV bald weitestgehend vom Tisch sein.

Die ganze Rechtsbranche, und damit auch die RSV und deren Dienstleister, spüren den Anwaltsmangel und finden kaum mehr juristische Fachkräfte. Und diese Lage wird nach unserer Ansicht von nun an jedes Jahr schlimmer werden.

Was gab es 2019 Neues im Rechtsschutz? GetSafe bringt eine Rechtsschutzversicherung via App. Die ROLAND startet mit dem Jurpartner-Portal eine Plattform, die auch auf Nicht-Versicherte ausgerichtet ist, die KS-Auxilia kauft sich mit einem siebenstelligen Betrag bei Atornix ein.

Und immer mehr Legal Techs kommen auf den Markt und versuchen ihr Glück bei Endkunden, aber drängen auch in den Rechtsschutzmarkt. Teils als Claimsfisher, teils als möglicher Partner. Zweiteres ist eine grundsätzlich begrüßenswerte Entwicklung für die RSV, die ihr Angebot damit attraktiver und moderner machen können. Aber welche Legal-Services sind tatsächlich sinnvoll? Wieviel „Tech“ existiert hinter den Fassaden der Startups tatsächlich? Ist deren Geschäftsmodell angriffssicher? Wie zukunftsfest sind die teils recht kleinen Läden?

JahreswechselImmerhin: Beim Rechtsrahmen für Legal Tech hat Wenigermiete.de vor dem BGH gewonnen. Damit ist zumindest das Inkasso-Model für Legal Techs gesichert.
Im Bereich RDG-Reform und BRAO-Reform wurde viel diskutiert und geschrieben. Ob der Gesetzgeber hier tatsächlich in absehbarer Zeit liberalisieren wird? Kommt gar die Möglichkeit der Fremdbeteiligung an Kanzleigesellschaften?

Und was war bei der DAHAG so los?

Anfang des Jahres haben wir einen unserer drei Geschäftsbereiche geschlossen: Das Sorgenkind „Anwaltsverzeichnis“ hat über Jahre nie die Aufmerksamkeit und Ressourcen erhalten, die notwendig für einen Service nach unserem hohen Anspruch gewesen wären. Mit der Aufgabe des operativen Verzeichnis-Geschäfts fokussieren wir uns von nun an nur noch auf das Endkundensegment – und natürlich auf B2B/Rechtsschutz. Diese strategische Entscheidung hat sich schon im Laufe des Jahres als richtig erwiesen, da wir spürbar mehr Kraft, Energie und Personal in unserem Kerngeschäft einsetzen konnten.

Unsere Anwaltsmannschaft haben wir 2019 trotz Anwaltsmangel stark ausgebaut, nun sind fast 300 Anwälte an Bord. Wir steckten viel Budget auch in Printanzeigen, waren auf dem Deutschen Anwaltstag mit einem eigenen Stand vertreten, haben das Recruiting-Team verdoppelt und die Akquise- und Onboarding-Prozesse professionalisiert. Es geht voran, aber schwierig und teuer ist die Gewinnung neuer Kooperationsanwälte nach wie vor.

Dabei brauchen wir die neuen Advokaten dringend, denn auch 2019 stieg die Nachfrage nach unserer Telefonberatung und anderen Services deutlich. Zum einen kamen neue RSV dazu, zum anderen steuern die meisten RSV uns immer höhere Volumina, auch weil immer mehr Versicherer auf Direktwahl umstellen. Auch die Chat-Rechtsberatung ist 2019 durchgestartet und wird von den Kunden sehr gut angenommen.

Im Oktober wurde es mit Thomas Cook noch mal stürmisch: Bis 50% mehr Calls pro Tag ohne jede Vorwarnung waren schon eine Herausforderung, die wir mit vereinten Kräften bewältigen konnten. Wir sind auch stolz darauf, dass mit einer tollen Zusammenarbeit aller Abteilungen innerhalb von 72 Stunden der DAHAG Thomas-Cook-Info-Service auf die Beine gestellte werden konnte. Und auch die angeblich so unflexiblen Rechtsschützer bewiesen Agilität – innerhalb eines Tages haben 10 RSV unbürokratisch am Thomas-Cook-Info-Service teilgenommen. Mittlerweile haben wir über 10.000 Info-Mails an die registrierten VN versandt. Im Moment sieht es nicht danach aus, als wären weitere Folgelösungen notwendig.

Und was wird 2020 bringen?

  • Spannend wird es mit „KI“ werden, mit der wir 2020 die ersten Praxis-Gehversuche wagen werden.
  • Das Thema Rechtsschutz-App scheint nun wirklich „aufzuwachen“. Bei einigen RSV stehen sehr konkrete App-Projekte in den Startlöchern.
  • Wir stellen unser Telefonsystem komplett auf VoIP um. Damit sollten sich die Verbindungsaufbauzeiten (das „Klingeln“) in der telefonischen Rechtsberatung deutlich verkürzen.
  • …und wir werden im ersten Halbjahr 2020 unseren Namen ändern – aus dem langen und monothematischen Firmennamen „Deutschen Anwaltshotline AG“ wird dann kurz und knackig „DAHAG“.
  • Die Dynamik im lange statischen Rechtsmarkt nimmt zu. Das ist fordernd, macht aber auch richtig Spaß. Goodbye 2019, Hello 2020!