Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat am 30.04.2020 die Musterfeststellungsklage (MFK) gegen VW zurückgenommen. Mehr als 240.000 Verbraucher erhalten aus dem Vergleich eine Entschädigung von VW. Ursprünglich wurden 446.000 Anmeldungen vorgenommen. 30.000 Anmeldungen wurden doppelt vorgenommen. Damit haben sich 416.000 Anspruchsteller entschieden, an der MFK teilzunehmen. Etwa 77.000 Anmeldungen wurden zurückgenommen, womit 339.000 Anspruchsteller verblieben.

Davon waren ca. 266.000 berechtigt, den Vergleich anzunehmen und ca. 73.000 Anspruchsteller erfüllten nicht die entsprechenden Voraussetzungen.

Über 90 %, also 240.000 Anspruchsteller, haben das Angebot angenommen.

Das entspricht einer Quote von fast 58 % der ursprünglichen Anmeldungen.


Informationen über den Autor

Dr. Jannis Konstas – Justiziar der Deutschen Anwaltshotline AG
Rückfragen, Feedback und Anmerkungen zum Artikel sind immer willkommen!
Schreiben Sie an jannis.konstas@deutsche-anwaltshotline.de


Kurzumfrage: Nutzen auch Rechtsschutzversicherte die MFK?

Wir haben eine kleine, nicht repräsentative Umfrage unter VW-Geschädigten, die Ansprüche im Rahmen der MFK angemeldet haben, durchgeführt. Um die Hemmschwelle zur Teilnahme an der Umfrage zu senken, konnten einzelnen Fragen übersprungen werden. Die Zahlen und Schlussfolgerungen stellen keine Kalkulationsbasis dar, sondern dürften eher als Trend zu verstehen sein.

Wer Ansprüche in der MFK angemeldet hat, ist zu 65 % nicht rechtsschutzversichert, 35 % der Anmelder haben eine RSV.

Es war zu erwarten, dass das kostenlose Instrument der MFK eher von denjenigen genutzt wird, die eigenes Geld in das Risiko einer Individualklage investieren müssten. Andererseits liegt die Marktdurchdringung der RSV auch nur bei 40 %.

Es ist also nicht so, dass sich nur nichtversicherte Personen der MFK bedienen. Insoweit hat die MFK der Branche einige Fälle erspart. Bei 240.000 in der MFK im Wege des Vergleichs erledigten Fälle sind das 84.000 Fälle! Auf der anderen Seite heißt das, da noch mindestens 34.650 rechtsschutzversicherte Fälle (35 % von 99.000) lauern, nämlich die, denen kein Vergleich angeboten wurde oder die den Vergleich ablehnen.

Die Vergleichsannahmequote bei den Befragten liegt bei 66 % und viel niedriger als die von den Parteien der MFK mitgeteilte Quote von 90 %. Hier bieten sich zwei Erklärungen an: Einmal gibt es Unschärfen in der Umfrage, weil nicht ausdrücklich gefragt wurde, wem von VW ein Vergleich angeboten wurde, sondern nur, wer einen Vergleich angenommenen hat. Ein anderer Ansatz ist, dass es sich bei den Teilnehmern der Umfrage um Mitglieder einschlägiger Facebookgruppen für VW-Kunden handelte und in Facebookgruppen eher aktive und kritische Verbraucher zu finden sind.

Durchschnittlich beträgt der erzielte Vergleichsbetrag € 2.863,25. Da die Vergleichssumme etwa 15 % des Kaufpreises beträgt, dürfte der durchschnittliche Streitwert bei realistischen 19.000 € liegen.

Interessant war auch, dass keiner der Befragten außergerichtlich einen RA eingeschaltet hat. Auch hier gilt, dass die Befragten als Mitglieder in Facebookgruppen eher selbst aktiv sind. Wer einen RA hat, gibt den Streit ab und kümmert sich weniger darum.

Nur 5 % der Befragten haben sich von der MFK abgemeldet, wollen aber dann eine Einzelklage anstreben. Von den 77.000 Rücknahmen dürften mindestens 26.950 rechtsschutzversichert sein. Wahrscheinlich liegt die Zahl eher höher. Bei 34.000 Nicht-Vergleichsannahmen sind also 61.600 Fälle für die RSV-Branche dringend in der Pipeline, denn die Anspruchsinhaber haben schon einmal gezeigt, dass sie bereit sind, gegen VW vorzugehen. Das jüngste BGH-Urteil dürfte diese Bereitschaft noch einmal erhöhen.

Das heißt auch, dass für die Mandatsfischer noch ein großer Schwarm unterwegs ist, den es abzufangen gilt.

Gibt es noch andere MFK?

Die MFK gegen VW ist wohl die bekannteste Klage dieser Art. Weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt blieben aber weitere MFK.

Die erste Klage dieser Art reichte der Verein Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V. vor dem OLG Stuttgart (Az. 6 MK 1/18) gegen die Mercedes Benz Bank AG ein. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen, weil der klagende Verein nicht den Anforderung einer qualifizierten Einrichtung i. S. d. § 606 Abs. 1 S. ZPO genügt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, sondern beim BGH unter XI ZR 171/19 anhängig.

Derselbe Verein hat eine weitere MFK gegen die Bisnode Deutschland GmbH angestrengt (OLG FFM, Az. 24 MK 1/18). Die Klage steht im Zusammenhang mit dem Infinus-Skandal. Der klagende Verein wird von der Kanzlei Rotter Rechtsanwälte Partnerschaft mbB vertreten. Das Verfahren ist derzeit ausgesetzt, bis über die oben erwähnte Klage des Klägers gegen die Mercedes Benz Bank entschieden ist

Die MFK macht auch vor dem Mietrecht nicht halt. Der DMB Mieterverein München e.V. hat erstinstanzlich zumindest teilweise erfolgreich gegen einen großen Vermieter geklagt (OLG München Az. MK 1/19). Auch hier ist das Urteil aber noch nicht rechtskräftig.

Ebenfalls am OLG München ist eine MFK des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. gegen den Insolvenzverwalter der BEV Bayerischen Energieversorgungsgesellschaft mbH anhängig (Az. MK 2/19).

Der Verein Verbraucherzentrale Sachen e.V. hat bereits im Zusammenhang mit Zinsanpassungsklauseln gegen drei Sparkassen MFK erhoben (Stadt- und Kreissparkasse Leipzig – OLG Dresden Az. 1/19, Erzgebirgssparkasse – OLG Dresden 5 MK 2/18 und Sparkasse Zwickau, OLG Dresden 5 MK 1/20) und teilweise gewonnen. Vertreten wird die Verbraucherzentrale Sachsen in dem Verfahren gegen die Sparkasse Zwickau von der Kanzlei Schirp & Partner Rechtsanwälte mbB, die Erfahrung in der Bearbeitung von Massenschäden im Bank- und Kapitalanlagerecht hat.

Was heißt das für das Schadenmanagement?

Die MFK hat in einem Massenschaden bewiesen, dass sie effektiv Rechtsfrieden schaffen kann. Sie erreicht nicht nur diejenigen, die sich ein individuelles Vorgehen nicht leisten können oder wollen, sondern auch rechtsschutzversicherte Anspruchsinhaber. Sie hat gezeigt, dass Verbraucher bereit sind, die Verantwortung der Prozessführung in die Hände der klageberechtigten Verbände zu legen. Die MFK hat auch gezeigt, dass ein Vergleich, der von den Parteien geschlossen wird, auf breite Akzeptanz bei den Verbrauchern stößt.

Rechtsschutzversicherer sollten bei Massenschäden die Zusammenarbeit mit klageberechtigten Verbraucherschutzverbänden suchen und aktiv auf ihre Versicherungsnehmer zugehen. Oft gibt es noch die Befürchtung, dass bei einem proaktiven Schadenmanagement mehr Schadenfälle generiert werden. Diese Befürchtung dürfte bei einem Massenschaden, der sich für eine lukrative gleichförmige anwaltliche Bearbeitung eignet, unbegründet sein. Entsprechende anwaltliche Marketingmaßnahmen werden ohnehin für ein breites Problembewusstsein in der (Internet-) Öffentlichkeit sorgen. Der Versicherungsnehmer will, dass sich jemand um sein Problem kümmert – und das kann auch seine Rechtsschutzversicherung.