In den letzten 15 Jahren kann ich mich an keinen Rechtsschutz-Kongress erinnern, auf dem der Branche nicht erheblich Verbesserungen und Prozessoptimierungen durch Digitalisierung versprochen wurden – seit 2023 besonders intensiv in der Ausprägung von „KI“.
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Johannes Goth – Vorstand DAHAG Rechtsservices AG
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Ich will nicht sagen, dass in den 15 Jahren bei der „Digitalisierung im Rechtsschutz Schaden“ gar nichts passiert ist. Eine Auswahl:
- DREBIS (ca. 2005): Sollte die Schadenmeldung durch externe Kanzleien viel einfacher machen. Der Effekt war und ist …überschaubar.
- AISAAC von Adesso (ca. 2015): Zur automatischen Anlage und Deckungsprüfung von schriftlichen Schadenmeldungen von Drittkanzleien. Nach unserer Wahrnehmung ziemlich teuer und in der Realität trotz angeblichem „deep learning“ mit sehr viel menschlicher Arbeit im Hintergrund. Hat sich in der Rechtsschutz-Branche nicht durchgesetzt.
- Automatische Deckungsprüfung: Bei einigen RSVs sind seit ein paar Jahren eigene Entwicklungen im Einsatz. Bei sehr konkreten Anwendungsfällen (Owis) funktioniert das ganz gut. Sonst eher nicht.
- Automatische Rechnungsprüfung: Nur vereinzelt in der Anwendung. Effekt bisher überschaubar. Klappt auch besonders bei spitzen Anwendungsfällen (Owis) gut.
- Automatische Betrugserkennung: Sofern vorhanden Eigenlösungen von einzelnen Häusern. Begrenzt wirksam.
- Online-Schadenmeldeformulare: Meist kein Vergnügen für den VN. Geringe Nutzungszahlen.
- Rechtsschutz-Apps: Es gibt einige wenige Apps, die die Schadensteuerung tatsächlich in einem hohen Maße automatisiert haben und auch eine hohe Nutzungsrate aufweisen (z.B. DEVK Rechtsschutz App). Allerdings ist der Download der Apps durch den VN freiwillig und erreicht branchenweit keine relevante Bestandsdurchdringung.
- Online-Schadensteuerung über Homepage: Hier hat sich tatsächlich viel getan. Viele RSVs haben Services wie Zugang zu Telefonberatung, Chat-Beratung, Vertrags-Check, Mietnebenkosten-Check usw. auf ihren Homepages eingebunden. Manchmal leicht auffindbar und nutzbar, manchmal ziemlich versteckt und hinter einer schwer überwindbaren Login-Hürde. Dennoch: Jeder VN, der so sein Rechtsproblem löst, ist zufrieden, verursacht kaum Kosten und nimmt den Sachbearbeitern keine kostbare Arbeitszeit weg.
Analoge Steinzeit: Der Telefon-Kanal
Fast keinerlei Digitalisierung hat dagegen bisher der wichtigste direkte Zugangskanal von Rechtsschutz erfahren: der Telefonkanal.
Dabei wird dieser (auch mangels attraktiver Alternativen) von den Kunden stark genutzt. Und seit Corona und Anwaltsmangel sogar jedes Jahr noch stärker: Rund zwei Millionen Telefonberatungen pro Jahr und dazu weitere geschätzt zwei Millionen Telefon-Kontakte zu Schadenstellen und anderen Abteilungen sind eine gigantische (analoge) Ressource.
Bzw. je nach Blickwinkel noch immer eine gigantische Ressourcenverschwendung. Eine Verschwendung von immer knapper und teurer werdender Arbeitskraft von Telefonanwälten und Schadensachbearbeitern. In vielen Prozessen wird zum Beispiel ein und dieselbe Versicherungsnummer in einem Steuerungsworkflow bis zu viermal mündlich übermittelt und von verschiedenen Akteuren eingetippt – durch hochqualifizierte Juristen, und dennoch mit einer Fehleranfälligkeit, die Frust und Zeitaufwand nach sich zieht. Und bei der Direkteinwahl weiß erst mal niemand, welche Leistungsarten beim Anrufer überhaupt versichert sind, oder ob er vor ein paar Tagen schon einmal eine Beratung bekommen hat.
Die RSV-Homepage: Schon digital, aber…
Auf den ersten Blick besser bestellt um digitale Automatisierung scheint es bei vielen RSV Homepages. Dort findet der VN oft ein mittlerweile breites Angebot an niederschwelligen digitalen Lösungsoptionen für sein Rechtsproblem. Und oft genügt die Eingabe seiner Versicherungsnummer, um den Service in Anspruch zu nehmen.
Und die Kunden sind begeistert von diesen Angeboten. Die Chat-Rechtsberatung etwa ist der am stärksten wachsende Rechtsservice der DAHAG.
Allerdings…
- …finden sich viele VNs in dem immer bunteren Blumenstrauß an immer spezielleren Lösungsangeboten auf vielen Homepages immer schlechter zurecht und nutzen wahrscheinlich nicht immer das passendste und günstigste Angebot.
- …ist der gigantisch frequentierte Telefon-Kanal mit den digitalen Angeboten der Homepage überhaupt nicht verknüpft. Die Verlustraten zwischen beiden Kanälen dürften riesig sein. Insbesondere nach einer Telefonberatung („Vielen Dank Herr Anwalt, damit haben Sie mir erstmal geholfen…“) verschwinden viele VNs wieder im Steuerungs-Nirvana.
- …gibt es nach unserem Kenntnisstand in den Häusern und beim GDV kein Wissen darüber, welche tatsächlichen Nutzungszahlen der digitale Kanal über die Homepage der RSVs hat. Die Conversions in die digitalen Services kann man immerhin zählen. Aber wie viele VNs besuchen erst die Homepage und rufen dann an? Warum greift ein Homepage-Nutzer überhaupt zum Telefon? Wie viele VNs mit einem Rechtsfall besuchen die Homepage und verlassen diese wieder, ohne ein Lösungsangebot anzunehmen? Und warum?
Wahrscheinlich gehen die Nutzungszahlen der RSV-Homepages durch VNs mit einem Rechtsschutzfall branchenweit mittlerweile auch in die Millionen pro Jahr, aber niemand misst das oder kann das richtig messen und daraus Angebote (weiter-)entwickeln, die dem tatsächlichen Kundenbedürfnis entsprechen.
Zwischenfazit:
Die Digitalisierung der letzten 15 Jahre im Rechtsschutz hat bisher nur in engen Teilbereichen spürbaren Nutzen gestiftet. Am besten funktioniert noch die (Selbst-)Steuerung der VNs in digitale Dienstleister-Angebot auf den RSV Homepages.
Millionen VNs mit Rechtsfällen nutzen jedoch bei steigender Tendenz den Telefon- und Homepage- Kanal der RSVs. Dort geraten sie jedoch entweder in analoge, isolierte oder suboptimale digitale Prozesse.
Und warum funktioniert das nicht längst schon besser?
So viel zur schonungslosen Bestandsaufnahme. Aber diese unbefriedigende Situation ist der Branche natürlich im Großen und Ganzen bekannt. Warum wurde das Ganze nicht schon längst gelöst? Meiner Ansicht nach deshalb nicht, weil…
- …der Telefonkanal mit der bisher zur Verfügung stehenden Technologie nur sehr schwierig zu digitalisieren gewesen wäre. Mit den bestehenden IVRs (die oft auch unter der Herrschaft einer schwer zu aktivierenden Konzern-Abteilung stehen) ist eine automatische Datenerfassung, Daten-Digitalisierung und -übertragung bisher technisch kaum möglich gewesen.
- …bis vor wenigen Jahren Juristen und Schadensachbearbeiter eine gefühlt endlos und relativ günstig verfügbare Ressource darstellten. Es war daher auch nicht wirklich relevant, ob das Personal Lust auf Telefondienst hatte – Telefondienst wurde einfach angeordnet. Analog hat eben einfach funktioniert.
- …die Homepage als digitaler Zugang der RSVs im Regelfall unter der Kontrolle der Marketing-Abteilung stand und der Einfluss der Leistungsabteilung auf die Marketing-Kollegen gering war. Homepages wurden lange nicht als Steuerungskanäle verstanden. Daher waren auch die Nutzungszahlen von VNs mit Rechtsproblemen lange gering und somit der Handlungsdruck der Optimierung und Prozessverknüpfung nicht sonderlich hoch.
Warum ist das 2025 anders?
Ich glaube, dass wir 2025 nun tatsächlich vor einer digitalen Zeitenwende im Rechtsschutz-Schaden stehen.
- Der Handlungsdruck in den Leistungsabteilungen ist signifikant angestiegen. Personal ist knapp, oft sogar sehr knapp. Und es wird in den nächsten Jahren immer knapper werden. Und die qualifizierten Leute haben einfach keine Lust mehr, stupide Telefonarbeit („Wie lautet Ihre Versicherungsnummer?“) zu leisten. Und auf anstrengende Schadensteuerung schon gar nicht.
- Die Entscheider haben erkannt, dass die Kunden (ja, auch die 60+ Kunden) im Leistungsfall mittlerweile einfache und smarte Online-Lösungen von ihrer RSV erwarten – und nicht nur ein kompliziertes Online-Meldeformular.
- Mit KI steht nun erstmals eine anwendungsreife Technologie zur Verfügung, mit der der gesamte Telefonkanal und die Folgesteuerung digitalisiert werden kann.
Was ist das „Digitale Steuerungsrad“?
Die DAHAG entwickelt bereits seit 2021 Stück für Stück die verschiedenen erforderlichen, technischen Module für eine komplette integrierte, digitale Schadensteuerung.
Um das nahtlose Ineinandergreifen der verschiedenen digitalen Komponenten zu visualisieren, haben wir uns für das Bild des Rads, des „Digitalen Steuerungsrads“ entschieden.
Im Zentrum des Rads steht der VN mit seinem Rechtsproblem/Schadenfall. Egal über welchen Kanal er nun in das Rad eintritt, wird sein Vorgang vom System (nicht von einem Sachbearbeiter oder Anwalt) erfasst und dann dreht sich das Rad automatisch, bis der Rechtsfall des VN gelöst und der Schaden erledigt ist.
Klicken Sie hier für eine vergrößerte Ansicht: Digitales Steuerungsrad
Wie funktioniert das Rad?
Die zentralen Systemkomponenten des Rads sind dabei die Digitalisierung des Vorgangs zum Beginn eines Calls durch unseren KI-Rechtsschutz-Sprachassistenten JUSTUS, der Versand von SMS an den VN nach jeder Telefonberatung zur Überleitung in die digitale Steuerung, und schließlich die Verknüpfung mit dem Rechtsschutz-Steuerungsbaum, mit dem sich der VN selbst zu seiner optimalen Lösung leitet.
Das Steuerungsrad kann nach den Vorgaben und Erfordernissen jeder einzelnen RSV konfiguriert werden. Die RSV behält die Hoheit über ihr eigenes Rad. Das Rad dreht sich dabei nicht nur mit DAHAG-Rechtsservices. Jede RSV kann ihre verschiedenen Dienstleister in das Rad einbinden. Sogar im Telefonkanal funktioniert die Digitalisierung der Telefonberatung samt Folgesteuerung über mehrere Telefonkanzleien hinweg.
Das Rad dreht sich bereits
Das Digitale Steuerungsrad ist keine reine Idee, sondern bereits Realität. Das Rad dreht sich seit 01.10.2024 im Auftrag der VGH Rechtsschutz erfolgreich als „VGH Steuerungsrad“, samt „JUSTUS VGH“ und dem VGH-Steuerungsbaum im Zuge des neuen VGH Meldetarifs. Auch eine weitere Telefonkanzlei der VGH wurde bereits parallel zur DAHAG Telefonberatung an den digitalen Rad-Workflow angeschlossen. Bereits im ersten Monat hat das VGH Rad über 12.000 Vorgänge digital und automatisch durchführt, die sonst von einem Menschen hätten bearbeitet werden müssen.
Jede RSV kann ihr eigenes Digitales Steuerungsrad in ihre Kanäle einbinden. Als komplettes Rad oder auch erst einmal nur Teilkomponenten davon.
Die Einbindung kann dabei nahezu ohne RSV-interne IT-Ressourcen erfolgen, weil sich die DAHAG komplett um die individuelle Konfiguration des Rads nach Vorgaben der RSV und um den Betrieb des Rads kümmert. Es müssen lediglich
- die gewünschten Steuerungsziele im Telefonkanal und im Steuerungsbaum definiert werden (am besten im Rahmen eines Workshops)
- eine Anpassung der IVR-Konfiguration vorgenommen werden
- ein Link oder Button zum Steuerungsbaum auf der RSV Homepage gesetzt werden
Mit dem Einsatz des Digitalen Steuerungsrades kann jeder Rechtsschutzversicherer das Kundenerlebnis im Leistungsfall enorm verbessern, den ungeliebten Telefondienst in der Leistungsabteilung massiv reduzieren und die Schadenkosten durch optimierte und bruchfreie Schadensteuerung deutlich senken.
Wenn Sie selbst eine „Probefahrt“ im Rad machen wollen, sprechen Sie uns jederzeit an.