Nicht zuletzt seit dem jüngsten Facebook-Urteil ist der digitale Nachlass wieder in aller Munde, doch weiterhin sorgen nur die wenigsten vor. Woran das liegt, wie Versicherer das ändern können und was Vorsorge-Produkte „sexy“ macht, erklärt im Interview Dennis Schmolk, Mitgründer des unabhängigen Informationsportals digital-danach.de und Produktmanager im Bereich Vorsorge der Deutschen Anwaltshotline AG.
E-Mail-Accounts, Online-Konten oder Social Media Profile: Wir alle haben sie, aber warum sollten wir sie durch einen digitalen Nachlass regeln?
Dennis: Aus demselben Grund wie bei allen Erbangelegenheiten: Wenn man sich zu Lebzeiten nicht darum kümmert, passiert im Regelfall das, was man nicht will. Das bedeutet, dass dann entweder die Angehörigen vor einer unübersichtlichen und nur schwer entwirrbaren Erbmasse stehen oder dass vielleicht doch Dinge verloren gehen bzw. gelöscht werden, die eigentlich bewahrt werden sollten. Im Falle des digitalen Erbes könnten das wichtige Zugänge und Passwörter sein. Oder das Gegenbeispiel: Es könnten Inhalte bestehen bleiben, die man gerne gelöscht gewusst hätte.
Gemäß einer Bitkom-Umfrage haben sich 88 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, die im Internet aktiv sind, noch nicht um ihren digitalen Nachlass gekümmert. Woran liegt das?
Erstens, niemand beschäftigt sich gerne mit dem eigenen Tod. Zweitens, niemand beschäftigt sich gerne mit Notfallvorsorge. Letzteres zeigt sich gut am Beispiel der Patientenverfügung: Nahezu jeder weiß, was es damit auf sich hat, aber laut einer Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands haben nur 43 Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung erstellt.
Ein weiteres Problem des digitalen Nachlasses ist, dass digitale Güter schlichtweg einen geringeren Stellenwert einnehmen. Geld, Gemälde und der Porsche in der Garage sind Themen – und das nicht nur für die Erblasser, sondern auch für die Erben. Es passiert oft, dass diese den Erblasser direkt auf seine weltlichen Güter ansprechen und schon zu Lebzeiten nachhaken, wer was bekommen soll. Bei digitalen Gütern passiert das wohl (noch) eher selten.
Gehst du davon aus, dass das Thema künftig prominenter wird?
Ja! Je öfter Schäden entstehen und Hinterbliebene in unangenehme Situationen geraten, desto relevanter wird das Thema. Ich gehe davon aus, dass Menschen drei Berührungen mit dem Thema benötigen, bis sie sensibilisiert sind. Dabei können sie etwas darüber gelesen oder gehört haben. Auch ein Fall im Umfeld schärft das Bewusstsein – etwa wenn es im örtlichen Fußballverein einen Todesfall gab und kein anderes Mitglied weiß, wo die Domain registriert ist.
In den Medien gibt es geradezu einen „Run auf Betroffene“. Über das von mir mitgegründete unabhängige Informationsportal digital-danach.de kommen regelmäßig Anfragen rein, ob wir nicht jemanden für Interviews oder Berichte vermitteln könnten. Bei diesem Mangel an Betroffenen wird es aber nicht bleiben. Immerhin werden die Online-Affinen immer älter. Und dabei muss nicht einmal etwas richtig Großes und Aufrüttelndes geschehen, wie etwa dass Millionen einer Kryptowährung irgendwo im digitalen Nirvana verschwinden, weil jemand seine Festplatte mit einem Passwort geschützt hat, das niemand kennt und das nirgends hinterlegt ist.
Viele Menschen schließen Versicherungen erst dann ab, wenn etwas passiert ist oder wenn sich abzeichnet, dass etwas passieren wird. Sind Vorsorge-Produkte einfach nicht „sexy“ genug?
Ja, und sie werden leider auch unsexy bleiben, wenn man die Menschen nicht ausreichend für Vorsorge-Themen sensibilisiert. Das geht gut über verschiedene Kommunikationsstrategien wie Informationsartikel und Newsletter oder auch über Workshops und Vorträge. Versicherer müssen bedenken: Der Kunde will ein Vorsorge-Produkt oft nicht, aber er braucht es.
Was ein Vorsorge-Produkt aber durchaus attraktiv macht, ist das gute Gefühl danach. Wir alle wissen doch, wie gut es sich anfühlt, etwas von der To Do-Liste zu streichen, oder?
Nimmt das digitale Erbe unter den Vorsorge-Produkten eine Sonderstellung ein, weil es schlichtweg „digital“ – also modern – ist?
Ich glaube, es nimmt dahingehend aktuell eine Sonderstellung ein, weil das ganze Drumherum eine große rechtliche Grauzone ist. Vor zwei Monaten fragte die FDP bei der Bundesregierung an, ob das Erbrecht nicht mit Hinblick auf digitale Güter reformiert werden müsse. Die Regierung lehnte die Anfrage ab und zeigte kein Interesse daran, Klarheit zu schaffen. Im Fall der Fälle ist also eine Einzelfallentscheidung nötig. Dabei kann es bis vor den Bundesgerichtshof gehen, wie das jüngste Facebook-Urteil zeigt – und daraus ergibt sich natürlich ein erhebliches Medienecho, was die Menschen wiederum für das Thema sensibilisiert.
Kurzum: Die rechtliche Unsicherheit gepaart mit dem breiten Medienecho machen den digitalen Nachlass zu einem besonders brisanten und zugleich dringlichen Thema.
Den Deutschen wird ein Hang zur Sicherheit nachgesagt. Können Versicherungsvermittler Vorsorge-Produkte als Verkaufsargument nutzen?
Auf jeden Fall, aber die Basis muss stimmen. Vorzusorgen darf nicht schwierig sein, denn der Kunde will sich ja eigentlich gar nicht damit beschäftigen. Im Idealfall nimmt das Vorsorge-Tool den Kunden an der Hand und führt ihn einfach, schmerzfrei und sicher – sowohl technisch als auch rechtlich – durch den Prozess. Um dies zu gewährleisten haben wir unseren Online-Assistenten „Digitales Erbe“ entwickelt.
Aber es kommt nicht nur auf die Technik, sondern auch auf den Kontext an: Das digitale Erbe ist als einzelnes Produkt vielleicht aktuell nicht sonderlich attraktiv, aber zusammen mit weiteren Themen wie der Patienten-, Betreuungs- und Sorgerechtsverfügung kann der Vermittler Vorsorgeprodukte durchaus als gewichtiges Verkaufsargument nutzen. Außerdem kann er beweisen, dass seine Versicherung eine gewisse Expertise im Bereich Vorsorge mitbringt, vorausschauend handelt und vor neuen Themen nicht zurückschreckt.
Immerhin spricht der Vermittler mit dem Kunden sowieso über Versicherungen, die an sich ja schon eine Form der Vorsorge sind.
Informationen über den Interviewpartner
Dennis Schmolk – DAHAG-Produktmanager im Bereich Vorsorge
Sie möchten mehr Informationen zum Digitalen Erbe und anderen Vorsorge-Produkten?
Schreiben Sie an dennis.schmolk@deutsche-anwaltshotline.de
Dennis Schmolk gründete 2015 zusammen mit Sabine Landes das unabhängige Informationsportal digital-danach.de zu digitalem Nachlass und Online-Trauerkultur. 2016 und 2017 veranstalteten die beiden die ersten Fachkonferenzen zum Thema, die digina16 in Hamburg und die digina17 in München. Darüber hinaus sind sie als Referenten und Workshopleiter tätig, u.a. auf der re:publica und für verschiedene Vereine und Institutionen.
Seit Januar 2018 arbeitet Dennis Schmolk bei der Deutschen Anwaltshotline AG als Produktmanager im Vorsorgebereich.